Flugzeug KarkarDie Seele besucht... 

Wir sind fünf Wochen auf Karkar eingetaucht, verschmolzen, haben gelacht, geweint, bis der Vulkan uns glühend und satt wieder nach Hause gespuckt hat.

Es war eine grandiose Zeit, die meine Erwartungen weit übertroffen und das Band zwischen den Menschen der Insel und uns reißfest gestärkt hat.

 

In der Vorbereitungszeit zwischen Taschenmesser kaufen und Urinkatheter besorgen war da natürlich die Vorfreude, wie Mira bemerkte: „Mama mit jedem Tag, den PNG näher rückt, lachst du mehr. Endlich bist du wieder die Alte!“, aber es waren auch Bedenken da: „Die Zeit ist weiter gelaufen, die Kinder, mit denen wir so viel unternommen haben, sind in alle Winde verstreut, vielleicht sind die Menschen nur uns so sehr wichtig, während sie distanziert zusehen, wer da immer so kommt und geht...? Holen mich die Schatten PNG´s ein, trage ich hier eine rosarote Brille?“

Und auch die Trauer plagt, nicht in Vollbesetzung fliegen zu können: Luis [der älsteste Sohn] geht seine Wege und möchte nächstes Jahr alleine nach PNG zu seinen Leuten fahren. „Mama, das ist mein Zuhause und rennt mir nicht weg. Ich möchte erst meinen Segelflugführerschein machen und den Sommer über fliegen.“ Was er dann auch mit viel Leidenschaft und Können und zu seiner vollen Zufriedenheit gemacht hat.

 

auf dem Pickup
Auf dem Pickup

Frank [Silke Bertrams Mann] wollte ursprünglich wegen Luis zurückbleiben und aus beruflichen Gründen sowieso ungern sechs Wochen weg fliegen. Gut, dass er Zeit für zwei Wochen Israel hatte und dort Kultururlaub mit seinem alten Freund erlebte konnte.

Für mich war es ein Muss, da ich zwischen zwei Arbeitsverträgen zwei Monate Luft hatte und auch weil ich das Gefühl hatte, meine Seele auf Karkar vergessen zu haben. Sie wartete am Flughafen von Madang auf mich.

Wir kamen an und es war als wären wir nur gestern für einen Tag Urlaub weg gewesen. Mira konnte es nicht fassen: „Ich bin wieder zu Hause - endlich!“, und Filip staunte: „Ich fühle mich hier so wohl, ich muss das kennen!“

Für ihn waren die ersten Tage aber auch ein Schock, da er das Pidgin komplett verloren hatte und aushalten musste, dass die Freunde sich darüber amüsierten. Den ganzen Urlaub über befand sich Filip auf einer Zeitreise und immer wieder rief er: „Mamaaaaa, diesen Geruch kenne ich... ach jaaa das habe ich immer so gerne gegessen, jetzt erinnere ich mich...“,  und dann kam das Sprechen von ganz alleine und Filip hatte sich seine Welt wieder erobert!

 

Überhaupt staunte ich über drei Kinder, die ich gar nicht mehr wiedererkannte ... entspannt, immer lachend, singend ... glücklich.
Sie alle genossen die Papua Kinder, das Meer und die Wärme, sie waren wieder befreit von „..wie siehst du denn aus? …wie viele Gänge hat dein Fahrrad? ...ich kann schneller rennen als du...“,  und suhlten sich im nichts haben; nichts brauchen und alles was meins ist, ist auch deins. Mira meinte irgendwann: „Mama, jetzt merke ich erst, dass ich in Deutschland die Luft anhalte, damit ich in Ruhe gelassen werde, hier bin ich wieder frei.“

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eine Katastrophe kommt ...

Ich staunte auch über mich. Das tiefgekühlte Suppenhuhn war aufgetaut, flatterte kreischend über die Insel und konnte wieder fliegen. Meine viel zu weißen Zähne wurden von den vielen Betelnüssen wieder ganz rot, ich genoss es, unendlich viel Zeit zu haben, mich in den Dörfern zu den Bekannten und Unbekannten zu setzen und Geschichten auszutauschen. Es waren Gespräche mit Menschen, die sich sehr bewusst sind wie frei sie sind, wie wichtig und stark ihre Wurzeln sind und dass sie noch die Zeit in der Hand haben. Und wir lachten viel über die Probleme der kapitalistischen Länder und wer wohl überleben wird, wenn es zu einem Crash oder einer Katastrophe kommt...

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Elisa

Hier zu sein ohne Arbeitsverpflichtung empfand ich als Privileg, weil ich mir erlaubte, bei den Menschen noch viel näher ans Feuer zu rutschen und weil ich offener und unverblümter meine Zuneigung zeigen durfte.
Was mich in den fünf Wochen umhaute war das Feedback, was ich von den Menschen bekam. Es war mir oft peinlich und machte mich traurig, da ich nicht das Gefühl habe etwas Besonderes gemacht zu haben. Wohin wir gingen kamen Menschen auf mich zu mit der Bitte: „Du musst zurück kommen. Wir brauchen Dich hier!!!! Du gehörst zu uns, wir vermissen dein Pasin (Verhalten) und wie du zu uns bist.“ Nicht selten hörte ich auch  „Komm - und wenn du kommst um hier zu sterben.“


Sie versprachen mir, die Betelnüsse zu mörsern wenn ich keine Zähne mehr hätte und wenn ich tot wäre auf meinen Geist aufzupassen und es wurde für mich sonnenklar, dass ich wieder zurück kommen werde - wie und wann auch immer. Jeden Tag schmiedeten die Kinder Pläne wie sie hier wieder herkommen könnten, wie sie Frank überreden könnten, und Mira fand spontan Schulunterricht unnötig, da sie - ausgerüstet mit einem Taschenrechner - auch einen Laden auf der Insel betreiben könnte.
Heiraten würde sie auch gerne einen ihrer alten Freunde... Schatten? Kamen nicht.

 

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Singsing, Madang

Wir hatten uns vorgenommen, nur auf der Insel Karkar zu bleiben.
Die ersten Tage verbrachten wir bei Barbara, unserer ehemaligen Lehrerin, und genossen die Vier. Wir begleiteten Barbara in ihren Laden, fuhren mit Paul durch die riesige Plantage, spielten mit den beiden Kindern und genossen den herrlichen Flecken Erde der Vier. Ich bewundere die beiden, wie sie die viele Arbeit mit unglaublichem Geschick, Humor und viel Gelassenheit angehen und meistern!!!
Ein besonderes Bonbon war es, Sophies Taufe mitzuerleben. Es war ein großes Singsing an dem wir letztlich alle teilnahmen und ein großes Festessen. Wir haben uns pudelwohl gefühlt.

 

 

Danach siedelten wir nach Gaubin [Ort wo das Krankenhausgelände ist] um, wurden singend empfangen und wunderten uns über die neue Arztfamilie, die uns mit offenen Armen empfing. Sie hatten sich so gut in die Kultur eingefunden, dass sie Pidgin sprachen, als seinen sie schon Jahre in dieses Land eingetaucht.

 

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Jes'erstes Bilum (Tragnetz)

Wir nisteten uns (bis auf Mira, die darum bat in ihrem alten Haus schlafen zu dürfen) im kleinen Guesthouse des Krankenhauses ein, was uns zwar darum brachte, nach den Spiel- und Spaßtagen zum gemütlichen plaudernden Teil des Abends überzugehen, aber angesichts der Fülle an Kindern und der Fülle an Stress, den die beiden zu bewältigen haben, sind Stunden der Ruhe Gold wert.

 Elisa, unsere einstige Fee, beschloss sofort bei uns im Häuschen mitzuschlafen und wir nutzen die Gelegenheit, uns viele Gedanken und Tonic-Dosen zu teilen und nachts gemeinsam Ratten zu jagen.

Für mich war es sehr aufwühlend, den beiden Ärzten zuzuschauen, was alles so auf sie einprasselt und mit was für einer Herzlichkeit, Offenheit und unermüdlichem Einsatz sie allen Anforderungen versuchen gerecht zu werden und den Alltag zu meistern. Da sind die Kinder, die integriert und beschult werden wollen, die täglichen neuen Ereignisse, zu denen man sich verhalten muss, immer mit der Frage nach political and cultural correctness, die eigentliche Arbeit, Anforderungen aus dem In- und Ausland...
Ich litt mit, weil das erste Jahr das anstrengendste ist. Es gilt zu lernen, dass man nicht mehr gibt als man hat. Manchmal vergisst man, egoistisch zu sein, um sich Zeit für sich und die Familie zu nehmen und im Innern zehrt der Dauerkampf: was muss ich tun, wie muss ich mich verhalten, wo grenze ich mich ab, wo muss ich aktiv sein und wenn wie...

Nach dem Stadium der Genervtheit kommt die Zeit der Gelassenheit und wer bis dahin seinen Humor nicht verloren hat, erliegt dem Leben auf dieser Insel.

 

 

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Mary

Wir erlagen noch dem Zauber Bagabags, der Nachbarinsel, auf der Mary - unser leider teilweise gelähmtes Kindermädchen - mit ihrer Familie wohnt. Wir durften zwei Nächte in ihrem Haus wohnen und am puren Dorfleben teilnehmen. Filip musste allerdings im „haus boi“ (Jungenhaus) schlafen, was er auch trotz heftigem nächtlichen Gewitter und trotz dem In-den-Busch-pinkeln-gehen-müssen tat.
Mary scheint trotz ihrer Behinderung zufrieden zu sein und ist eine Spezialistin im Free Diving geworden. Auf die Frage „Brauchst du irgendetwas, hast du Wünsche?“,
schaute sie mich nur verwundert an: „Nein, ich bin glücklich.“

Zu unserem Vergnügen schafften wir es immer wieder einige Kinder der alten Truppe zusammen zu bringen und mit ihnen unsere alten Lieblingsplätze aufzusuchen. Ein besonderes Vergnügen war es auch, den Film, den die Kinder damals gemeinsam gedreht hatten, aber nie geschnitten und bearbeitet gesehen hatten, nun mit ihnen anzuschauen und uns dabei schlapp zu lachen!

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Eine wunderbare Ergänzung war das Zusammentreffen mit Steffi und Moni, auch zwei ehemalige Lehrerinnen, die noch auf die Insel kamen und das Vergnügen perfekt machten.

Zum Schluss hatten wir das Gefühl viel erlebt zu haben, eigentlich alle umarmt und gesehen zu haben und zufrieden gehen zu können. Wir nahmen drei unserer Freunde mit nach Madang, trockneten die Tränen und machten noch ein paar Tage Party bis wir wieder in den Flieger stiegen. Die letzten Tränen waren heiß, aber wir trösteten uns, dass wir alle wiedersehen würden und nichts uns Karkar nehmen könne. Miras Abschlussbemerkung im Flugzeug: „Huch Mama, das ist ja komisch. Die ganze Zeit auf Karkar hattest du kein einziges graues Haar. Jetzt sind sie auf einmal alle wieder da! Wie geht das denn?“

Gut, dass wir es getan haben! Die Kinder verstehen sich besser, Jes, unser viertes Kind, wurde dort ‚getauft’, ich konnte meine Seele besuchen und bin gespannt wie es weiter geht.

Ich danke meiner Oma, ohne deren Hinterlassenschaft ich die Reise nicht hätte machen können und Frank, der so viel Unvernunft mitmacht, auch wenn so viel Geld in einem Haus besser angelegt gewesen wäre.

 

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Erdofen bei Familie Ihle

Wir danken Barbara und ihrer Familie und Ihles [Arztfamilie] von ganzem Herzen, ohne die ein „sich zu Hause fühlen dürfen“ nicht auf diese Art möglich gewesen wäre!!! 

 

Silke & die Bertrams
nach der Rückkehr aus Karkar, September 2009

 

 

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