Widmung Bischof

Die Widmung des Erzbischofs

Nach einem Gesprächsprotokoll vom 25.05.2006

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  26. Mai, beim Bischof in seiner Residenz

19.00 Uhr. Benyamin Purba läd uns in seinen Jeep und fährt mit uns durch die nächtliche, schwül-heiße Hauptstadt.

Wir halten an einem großen Herrenhaus mit Innenhof. Der einzige Mitbewohner des Hauses, ein holländischer Sekretär, bringt uns durch das alte Holzgebäude ins Obergeschoß. Hier, in der einsamen nachtfinsteren Residenz öffnet sich eine schwarze Holztüre und schaut uns ein grauhaariger, agiler Mann mit wachsamen Augen an: "Herzlich willkommen",  grüßt er uns zwei Frauen auf reinstem Deutsch. ...

 


 

Mai 2005, Vorgeschichte

Die Reise nach Sumatra im Mai 2006 hatte ein besonderes Ziel: Das Buch SIDIHONI nach Sidihoni selbst zu bringen und es auch in Sumatra bekannt zu machen.

So traf ich gleich nach unserer Ankunft in Sumatra den modernen Batak-Schriftsteller Thompson HS und übergab ihm ein Exemplar des Buches für seine Galerie.
Thomson zeigte das Buch dem Direktor des Verlages BINA MEDIA, dem Kapuziner Mönch Benyamin Purba, auch ein Batak. Dieser interessierte sich sofort für eine indonesische Übersetzung, da der Verlag schon mehrere internationale anthropologische Werke zur Batak-Kultur herausgebracht hat.

Während ich bereits in Sidihoni weilte, überbrachte mir ein Gesandter von ihm eine Einladung ins Kapuziner-Kloster in Medan. Ich vereinbarte, zusammen mit meiner Begleiterin Britta Höckh direkt vor unserem Rückflug nach Deutschland zu Gast zu kommen. 

 

24. Mai, das Kloster

Das Kloster der Kapuziner in der Diözese Medan liegt wie eine ruhige Oase mitten in der Hauptstadt Nordsumatras im Stadtteil Helvetia. Große, kühlende Backsteingebäude erinnern an die holländische und deutsche Missionsgeschichte. Wie die Mönche erzählen, war diese große Klosteranlage mit dem grünen Innenhof und dem schattigen Wandelgang einst als Residenz für alte, pflegebedürftige Missionare gedacht.
Zur Zeit leben dort 7-8 Mönche und - welche Überraschung - einige kannten mich bereits persönlich! Sie hatten vor einigen Jahren in der Kreisstadt Pangururan im Pastoran Katholik St. Mikhael als Priester gearbeitet und waren gelegentlich nach Sidihoni hinaufgekommen, um dort die heilige Messe zu halten.

Wir verbringen in dem Kloster eine geruhsame Nacht, genießen ein vorzüglichen Frühstück und führen am nächsten Morgen spannende Diskussionen mit den Mönchen. Es geht um die Batak-Kultur und Aspekte der Inkulturation. Plötzlich greift  Pater Benyamin Purba zum Telefon und spricht mit Bischof Dr. Anicetus Sinaga. "Morgen abend sind Sie um 20.00 bei ihm eingeladen", richtet er aus. "Ich bringe alle, die über die Batak-Kultur  schreiben, zu ihm", erklärt er. Gerne hätte er selbst Anthropologie studiert, gesteht er. Ihn interessiere alles, was andere über sein Volk schreiben.

 


 

25. Mai, beim Bischof in seiner Residenz

19.00 Uhr. Benyamin Purba läd uns in seinen Jeep und fährt mit uns durch die nächtliche, schwüle-heiße Hauptstadt.
Wir halten an einem großen Herrenhaus mit Innenhof. Der einzige Mitbewohner des Hauses, ein holländischer Sekretär, bringt uns durch das alte Holzgebäude ins Obergeschoß. Hier, in der einsamen nachtfinsteren Residenz öffnet sich eine schwarze Holztüre und schaut uns ein grauhaariger, agiler Mann mit wachsamen Augen an: "Herzlich willkommen",  grüßt er uns zwei Frauen auf reinstem Deutsch".
"Oh, vielen Dank. Das ist uns aber eine große Ehre, daß wir zu Ihnen kommen dürfen", antworte ich.
"Aaach, das ist normal. Ich bin ein ganz normaler Mensch", lacht er herzlich.

Um es vorweg zu sagen: Diese Freundlichkeit, Fröhlichkeit und Direktheit zieht sich durch den ganzen Abend. Ich habe noch keinen derartigen Menschen erlebt. Ja, ich weiß, Batak sind gerne laut und lachen herzlich. Aber beim Bischof Sinaga paart sich ein wahrhaft großer Intellekt und Wissen aus ganz Europa mit einer Leidenschaft für jegliches kulturelle Schaffen, reinster Herzlichkeit und herausforderndem Schalk.

Bischof Sinaga empfängt uns in seinem Arbeitszimmer. Wo auch sonst!. Sein PC ist noch am Laufen, auf dem Schreibtisch stapeln sich Berge von aufgeschlagenen Büchern, in den Regalen reihen sie sich aneinander und oben drauf stehen Geschenke von Besuchen in europäischen Ländern. Der Bischof arbeite regelmäßig bis nachts um 2.00 und sei um 6.00 schon wieder auf, berichtet Benyamin Purba voller Respekt von der Schaffenskraft dieses Mannes.
Wir nehmen an einem großen, länglichen und gemütlichen Besprechungstisch inmitten des Arbeitszimmers Platz. Wir, das sind der Bischof, Benyamin Purba, Britta Höckh und ich.
"Was führt Sie zu mir?"

Ich zeige ihm das Buch und erzähle von seinen Themen. Als er es durchblättert, stellt er sogleich honorierend fest: "Oh, das war viel Arbeit, sehr viel Arbeit!"
Ach, tut das gut! Bischof Anicetus Sinaga weiß wovon er spricht. Er schrieb eine Doktorarbeit über den Glauben seines Volkes auf englisch. "Sie haben einen Vorteil", lacht er, "Sie können Ihre Muttersprache verwenden. Ich mußte auf einer Fremdsprache schreiben. Oh je, dabei zerbricht man sich wirklich den Kopf!"

"Ja, aber in Deutschland haben wir Probleme mit Begriffen wie Volk, Stamm, Sippe oder Klan aufgrund unserer jüngeren Geschichte. Ich mußte viele Begriffe neu definieren und habe es gewagt sie als deutsche Worte wiederzuverwenden. Da habe ich mir auch den Kopf zerbrochen. Im Fach nimmt man nur englische Begriffe, die sind neutraler."

Das amüsiert Benyamin Purba, "Sie mußten also englische Begriffe zurückübersetzen ins Deutsche. Wie originell."
Wir lachen herzlich darüber.

Danach gehen wir gemeinsam die Themen des Buches durch.
Ich freue mich unglaublich über die fachliche  Diskussion. Sie hatte bereits tags zuvor im Kloster mit den Brüdern begonnen und wird nun fortgesetzt. In Deutschland treffe ich nur selten auf solch versierten Kenner.

 


 

Von Abstammung und Mönch-Sein

Bischof Sinaga schaut sich das Buch Kapitel für Kapitel genau an. Einige Farbbilder rufen spontane Reaktionen hervor. "Hier… Pusuk Buhit…. der heilige Berg, der Olymp der Batak! Er ist ihr Paradies. Alle Batak-Völker sehen ihn als ihre Herkunft an. Sie geben diese Geschichte weiter an ihre Nachkommen, auch wenn Sie im Ausland leben."

Beim Schlachten eines Büffels fragt er, ob ich denn damals auch meinen Fleisch-Anteil bekommen hätte. "Natürlich", antworte ich, so wie es sich für ein Klanmitglied gehört."

Wo denn mein Klan (Marga) Simalango seine Herkunft habe, möchte er wissen. "Südwestlich auf Samosir, in der Nähe des Ortes Pangururan" erkläre ich. "Ich bin die 14. Generation". Daß ich in den Klan hinein adoptiert wurde, ist für ihn klare Sache.
"Unsere Sippe der Sinaga stammt aus dem 11. Jahrhundert. Wir können 19 Generationen zurückzählen." berichtet er von sich.

Als ich respektvoll staune und damit seine genealogische Nähe zum Gründer des Batak-Geschlechts bewundere, wiegelt er ab. Das sei ihm nicht so wichtig. Da sei auch vieles Legende dran.
 
Ich stutze etwas. Ist doch Abstammung das Wichtigste für Batak. Aber als oberster Kirchenhirte steht er über der Ahnenzählung, dämmert es mir. Die enorm hohe Bedeutung und Wertschätzung von Stammbäumen, Verwandtschaftsstellungen und Nachkommenschaft unter den weltlichen Batak muß ja bereits mit dem Eintritt in einen katholischen Orden innerlich erledigt sein. "Die Batak mußten lernen uns Mönche zu respektieren, auch wenn wir nicht heiraten  und keine Nachkommen haben", hatte Bruder Benyamin Purba noch am Vortag in der Diskussion betont. Daran erinnere ich mich in diesem Moment und füge hinzu. "Oh ja, als unverheiratete Frau alleine im Feld zu arbeiten, das war eine große Herausforderung für mich - aber auch für die Batak!"

Und wieder lachen wir gemeinsam. Wie reinigend, wie erfrischend. Immer gepaart mit Geist und Witz.

 


 

Schaffen und Erschaffen 

"Ich habe im Buch einiges neu zusammenfügt und überdacht. Als Frau schaue ich z. B. von einer anderen Warte auf die Zusammenhänge von Verwandtschaft und Klanen. So formulierte ich die neue Kategorie von "Heiratbaren" und "Nicht-Heiratbaren", denn die ethnologischen und übersetzten Begriffe für Pariban haben einfach nicht gepaßt."

"Na, dann haben Sie ja erschaffen", kommentiert Sinaga mit bewußter Wortwahl. Und wieder erfrischt diese doppelsinnige, fröhliche spielerische Art mit dem ‚Heiligen’ und ‚Ernst des Lebens’.
Bischof Sinaga hatte in seiner Dissertation "The Toba-Batak High God" die altüberlieferten Mythen seines Volkes zur Erschaffung der Erde und Menschen untersucht. Er weiß, was erschaffen bedeutet.

Dann führe ich aus, welche Parallelen zwischen vorchristlichen Riten und heutigem praktizierten Christentum im Buch gezogen werden. Ich zeige ihm Bilder von heidnischen Ahnenopfern neben Kirchgängern - brisante Themen für einen Bischof. Das Buch sei provokant, füge ich hinzu. Ich wolle damit herausfordern und eine Diskussion anschieben - auch unter Fachvertretern. Er lauscht, er nickt. So auch bei anderen Themen. Er schaut mich an:

"Gratulation zu diesem Werk. Mein Respekt. Sie sind wirklich tief hineingedrungen in unsere Kultur" sagt er ernsthaft.
Das ist ehrlich gesprochen und tut soooo gut.
"Vielen Dank, daß Sie so viel für unsere Kultur geleistet haben. Sie haben sehr viel Geld und Zeit dafür verwendet. Machen Sie weiter so! Gratulation!"

Nein, so etwas hat noch niemand zu mir gesagt. Solch eine Ermunterung und solch ein herzliches Lob ist nach all den vielen Jahren des harten, zurückgezogenen Schreibens und Bearbeitens von Material am heimischen Schreibtisch wie frischer Morgentau für die Seele. Fast fünf Jahre hatte es mich gekostet, und nun versteht dies ein Bischof!  Das habe ich nicht erwartet. Aber daß ich seine traditionelle Kultur gut kenne, daran habe ich keine Zweifel.

Bischof Sinaga kennt sogar Sidihoni. Er war schon einige Male dort, erzählte er, an dem See auf der Insel Samosir, die im großen Toba-See liege.
Bestürzt erfährt er von uns die neue Nachricht, daß der See fast ganz ausgetrocknet ist. Wir zeigen ihm auf dem Display der Digitalkamera die aktuellen Fotos der aufgerissenen, trockenen Erde - wie ein Mondkrater.
"Oh, mein See, mein See!" ruft er entsetzt, "man muß etwas unternehmen". Aber es gibt bis heute keine konkreten Vorschläge.

 


 

Sidihoni - Medan - Rottenburg

Bischof Sinaga kennt auch Wurmlingen, unser Heimatdorf mit der Kapelle auf dem Berg, die zum Bistum Rottenburg gehört. "Ich war oftmals zu Gast bei den Schwestern im Kloster Reute und habe von dort aus auch Bischof Kaspar in Rottenburg besucht. Bischof Kaspar ist jetzt in Rom und für die Ökumene zuständig. Sehen Sie, IHR Bischof …", sagt er mit hörbarem Stolz.

Er kennt meine Heimat, Sidihoni und Wurmlingen, sinniere ich und schon empfinde ich ihn als vertrauten Verwandten. Das hatte ich vorher nicht geahnt. Doch Batak kommen weit.

"Ja, die Ökumene. Durch sie kommen die vielen Batak in Deutschland und Europa zusammen. Sie haben so engagiert den Tsunami-Opfern mit ihren farbigen Tänzen und Chören bei Benefiz-Veranstaltungen geholfen", pflichte ich bei.

"Die Christine hält auf deutschen Batak-Treffen Dia-Vorträge über die traditionelle Kultur der Batak", fügte Frau Höckh hinzu. "Dann sind viele sehr tief berührt, wenn sie ihren Berg sehen oder über ihre alten Riten und Zweitbestattungen erfahren. Manche haben schon geweint"

In Sidihoni bzw. Sisalaon, knüpft der Bischof an, habe er 1978 eine Sekundärbestattung geleitet. Damit ist er bei meinem Lieblingsthema. Ich zeige ihm das Bild, wie ich bei der Ausgrabung und Zweitbestattung unserer Großmutter und 14 weiterer Vorfahren die Gebeine ihrer Söhne auf meinem Kopf trage. Die Großmutter, erzähle ich, sei zu Lebzeiten Schamanin gewesen und konvertierte deshalb nicht zum christlichen Glauben. Bischof Sinaga lauscht und ich beobachte ihn. Er sagt nichts dazu. Aber er schrieb im Einband seiner Dissertation, daß sein eigener Vater Datu war. Bruder Benyamin Purba hat es uns auch schon mit einem Hauch von Bewunderung auf der Herfahrt erzählt. Datu, das ist ein Zauberpriester von höchstem Rang. Datu waren hoch angesehene Magier, Wahrsager, Kenner von Kalendern und Geheimwissen und Ritualmeister. Quasi Priester in der altbatakschen Religion.
Das Spirituelle scheint also in der Familie zu liegen, denke ich.

Der Bischof lobt die Qualität und den Druck des Buches. "Was kostet es?" – "Was, nur 30 Euro. Das ist billig. Können Sie das denn machen?"
Wieder bin ich platt über seine Frage. Sie geht ins Eingemachte, zeugt von Fachkenntnis in der Druckbranche und der europäischen Preislandschaft.
"Ich kann das nur machen, weil ich all die Bilder selbst bearbeitet habe und wir den Druck und das Format optimal berechnet haben."
"Ja, ganz der Schwob", kommentiert der Bischof.

Ich kann es kaum glauben. Wir hauen uns vor Vergnügen auf die Schenkel und lachen lauthals. Witz mit Tiefsinn, Witz mit Welt-Erfahrung. Ach, tut das gut. Und spontan fallen wir ein in das Schwaben-Lied "Schaffe, schaffe, Häusle baue und itt nach de Mädle schaue…..".

Träume ich nur oder sitzen da wirklich zwei Batak und zwei Deutsche auf dem Sofa im Bischofshaus und singen die alte Volksweise ?! Das ist Humor von der Seele Gottes.

Bischof Sinaga brilliert mit weiteren ur-deutschen Sprüchen, schwärmt aber auch von Händel, Bach und deutschen Dichtern.

"Die Bataks sind die Deutschen von Indonesien!" faßt er die Thematik zusammen.

Wie? Ja, er sagt es noch mal und er schreibt es mir nachher sogar in das Buch, das er mir schenkt.


 

Die Bataks sind die Deutschen von Indonesien

 Foto: die Widmung seiner Excellenz

Widmung Bischof Sinaga"Die Deutschen sind sehr offen - aber auch ein bißchen grob. Auch die Art des Denkens, die LOGICA, ist gleich", führt er aus.

"Ebenso gleich ist der Dickkopf", setzt Britta Höckh noch obendrauf.

Schallendes Gelächter dringt durch die Wände der Residenz. Wir biegen uns vor Lachen und sind zugleich verblüfft.

"Auch die Sprechweise ist ähnlich. Sie blaffen mit der Sprache. Und mit dem Zorn ist es ebenso. Sie schimpfen schnell, aber sie vergessen wieder genauso schnell."

"Die Batak kommen auch in Deutschland gut zurecht," werfe ich ein und denke daran, daß ich eigentlich keine Integrationsprobleme von Batakern kenne. Batak machen mit bei Weihnachtsmärkten oder Schulfesten. Sie lassen sich nicht einmal von der Rauheit der Süddeutschen irritieren.

"Ja, sie machen es einfach wie Zuhause. Das ist der Trick. Die fühlen sich da genauso wohl."

Der Bischof hat den Nagel auf den Kopf getroffen, denke ich und wieder lachen wir fröhlich.

Zum Abschied überreichen wir uns in der späten nächtlichen Stunde gegenseitig unsere Bücher. Er gratuliert nochmals und bittet mich, den Menschen von Sidihoni und in Deutschland seine Grüße zu überbringen. Hier sind sie!

Am nächsten Morgen fliegen wir heim. Diese Begegnung werde ich nie vergessen.

>>> zu den Fotos mit dem Erzbischof in Medan 

 >>> zum Artikel des Schwäbischen Tagblatt: "Das Buch kehrt heim" vom 13.02.07 


© Veröffentlicht am 11.06.2007 in Rottenburg auf der website www.sidihoni.com
Nachdruck, Vervielfältigung und Auszüge speziell dieses Artikels nur mit Hinweis auf die website und Urheberschaft von Christine Schreiber