Sidihoni Trademark„Schnell, hier nimm die Tasche, und den Rollkoffer kann ich bis zum Auto tragen. Ach ja, hier noch 2 selbstgemachte Würstchen als Notration unterwegs. Sie sind trocken und fetten nicht. Du kannst sie direkt in deine Tasche stecken. Du hast viel zu tun und enge Termine, vielleicht brauchst du sie.“

Die kleine dunkelhäutige Frau läuft auf und ab in unserer kleinen Wohnung. Schnell noch ein Blick ins Bad, dann ein Blick auf die Schlafstätte. Wir beide sind schon zwei kleine Frauen, aber diese Frau ist noch kleiner – jedoch nicht zarter. Sie ist Indonesierin, genau gesagt, Batak. Vom Volk der Toba-Batak. Sie fegt in den lila filzigen Birkenstock-Hausschuhen meiner Freundin freudig aufgebracht hin- und her, wobei sie nicht ganz nach vorne in die Hausschuhe geschlüpft ist, sondern sie nach Indonesischer Manier an den Fersen heruntergetreten hat und somit nur auf „halber Kante“ läuft.

 

So erkenne ich jeden Indonesier und jede Indonesierin, ob in Europa oder an einem asiatischen Flughafen. Egal, ob muslimische Pilgergewänder die Personen von oben bis unten in weiße Tücher kleiden, egal, ob es ältere Männer sind, deren farbige Batikhemden tailliert bis auf die Hüfte hinabreichen, egal ob es junge Leute in engen Jeans sind: sofern sie Schlappen tragen, seien es offene Sandalen, Birkenstock oder Gummilatschen: sie laufen auf halber Kante.
Vergesse ich zuhause die Fensterriegel komplett nach unten zu stellen oder rutschen die nicht zugedrehten Marmeladenglasdeckel aus der Hand, sagt meine Freundin Betina: „kein Wunder, du bist eben auch schon Indonesierin. Alles machst du halb. Nix darf fest geschlossen werden. Wie mit den Schlappen.“

Naja, bisschen geknickt ist Betina nach der Abreise dieses Besuches schon, denn die Fersenkanten der Hausschuhe lassen sich nach diesem einmaligen Missbrauch nicht mehr aufstellen. Aber was soll es, besänftige ich sie. Der Besuch war schön. Besuch bringt Glück ins Haus, ist unsere Devise, die wir in Asien erlernten. Dieser Besuch brachte neue Ideen und die Entscheidung, gemeinsam zu kooperieren, Kräfte zusammenzuschnüren und einen Traum möglich zu machen. Einen Traum für jeden von uns.

„Nichts liegen gelassen? Schnell, wir müssen ins Auto, damit wir um 5 Uhr am Bahnhof sind und du nach München fahren kannst und dort dein Treffen mit deinem Finanzier einhalten kannst.“ Wir steigen alle ins Führerhäuschen des Lieferwagens meiner Freundin, sitzen zu dritt im noch dunklen Morgen dieses Frühlingstages auf der Fahrerbank und fahren `gen Tübingen zum Hauptbahnhof. Dora, diese kleine agile, kräftige, mit breiten Backenknochen lachende Batak, Dora, deren Augen beim Erzählen sprühen, deren Mund und Handy niemals still stehen, ist Managerin. Bataksche Managerin. Sie lebt zwar schon über ein Viertel Jahrhundert in Hamburg, aber die Schuhe haben es ja gezeigt: ihre Seele ist Indonesisch.

Es war ein Blitzbesuch von ihr bei uns. Wie das bei solchen Leuten nur möglich ist. Sie kam von einem großen Treffen in der Frankfurter Botschaft, wo sie ihre Kontakte pflegte um auf dieser Basis Geschäfte mit ihren Produkten zu machen.

„Adik (Jüngere Schwester) Ris“, sagt sie an ihrem Wochenendbesuch zu mir, „ich muss meine Geschäftspartner immer persönlich kennenlernen, sonst habe ich keinen Erfolg. Ich brauche das, erst müssen wir uns verstehen, dann können wir Verträge machen.“

„Ja gerne, Kak (große Schwester) Dora“, sage ich zu ihr. Meine Seele ist asiatisch, mein Herz schlägt Batak. „Ja, du hast in meinem harten, nur mit Latten bestücktem Bett geschlafen; wir haben zusammen gegessen -  und das ist lustig -  hast du unser selbstgemachtes Sauerkraut im Keller gerochen und uns mit deiner Neugierde und Offenheit, alles urdeutsche Essen zu probieren, erfreut. Du hast uns sogar Blätter von den Kaffee-Büschen mitgebracht und gelernt, dass man diese wie einen Tee aufbrühen kann. Die ganze Wohnung sprüht noch von deinem Temperament. Danke für deinen Besuch. Ja, wir machen das wie besprochen.“

Ich sage nicht, dass an den Wänden noch ihre Worte kleben - die zig Projekte, von denen sie die paar Stunden unaufhaltsam sprach. Überall in Sumatra hat sie Projekte und die meisten Orte davon kenne ich. Kleinbauern produzieren für sie, werden geschult, bauen naturnah an, lernen die Qualität für den Export einzuhalten und bekommen faire Bezahlung oder sogar einen Kindergarten erbaut.

„Ich will, dass in SiDanau auch ein Kindergarten gebaut wird. Die kleinen Kinder schaukeln auf dem Rücken ihrer Mütter. Sie haben keine Abwechslung, kein Programm. Sie sind unter Stress, Schwester Ris. Warte, wenn wir das Projekt umgesetzt haben, wird es einen Kindergarten in SiDanau geben. Das hast du sicher gemerkt, als du dort so lange gelebt hast, wie diese kleinen Kinder unter Stress sind in diesen Dörfern mit nur paar Häusern. Die Kinder brauchen Bildung, das ist der Schlüssel für ihre Zukunft, schaue mich an, ich kam als erstes Au Pair Mädchen aus Indonesien nach Deutschland. Ich habe hier studiert und nun habe ich das Geschäft eröffnet.“

Ich kam nicht dazu, ehrlich zu antworten. Ich nickte und meinte damit den Faktor Bildung. Ja, auch ich hatte in dem kleinen deutschen (Flüchtlings-) Dorf keine Zukunft, keine Chance gehabt. Meine Aufsässigkeit führte mich weg, fort, weit in die Welt, bis zu den Toba-Batak und an die Uni und zu der Entscheidung, brötchen-verdiener-lose Studienfächer zu studieren. Orchideenfächer nannte man sie seinerzeit. So wurde ich Anthropologin / Ethnologin.
Also, ich nickte.
In ihren Augen waren wir uns einig. DIE Voraussetzung für gemeinsame Sache.

„Ach, ich hatte keine Chance es ihr zu erklären, sage ich Betina bei unserer Heimfahrt vom Bahnhof im Führerhäuschen. „Ich wollte ihr sagen, dass es für die Batak-Kinder Gottes Segen ist, im Umhängetuch der Mutter zu schaukeln, immer in Kontakt mit ihr zu sein. Die Welt aus gleicher Augenhöhe zu betrachten und nicht liegend dauernd nur den Himmel zu sehen wie bei uns.
Du weißt doch selbst, wie schön das ist, wenn wir im dunklen hölzernen Batak-Haus sitzen oder nach dem Essen ein Nickerchen auf den Bodenplanken halten und von draußen unaufhörlich das Kinderrufen hereindringt. So schön ist das. Ich vermisse es genauso wie das morgendliche Krähen der Hähne.“

Batak-Kinder in einem Dorf sind die Kleinen Leute des Dorfes. Sie sind ein eigener Stand. Wie bei uns im Mittelalter. Es gab Sänger, Gaukler, Fürsten, Maurer, Wäscherinnen…  
Hier sind sie die Kleinen Leute. Sie haben ihre eigenen Regeln. Die großen Kinder passen auf die Kleinen auf bzw. tragen sie auf ihrer Hüfte, damit sie beim Rennen und Geschicklichkeitsspielen mithalten können. Sie laufen barfuß, die Kleider haben Löcher, manchmal fehlen die Hosen. Die Haare sind kurz geschoren, vor allem dann, wenn sich zuvor darin Läuse befanden. Die Nase ist verschnupft, es paart sich die Feuchte mit dem gelben Lehm der Dorfwiese, in den Gesichtern klebt Dreck und Leben pur.
Streit, Trotz und Weinen? Das kenne ich nicht. Leben, Laufen, Lachen. Lachen. Lachen. Das sind Kinder und deshalb lieben die Batak so ihre Kinder. Als in Pangururan, der kleinen Kreisstadt auf der Hochlandinsel Samosir, aufgrund eines Kurzschlusses die Schule brannte, überbrachte man einem Familienvater in Ronggornihuta auf dem Berg die Nachricht, er habe zwei seiner Kinder im Feuer verloren. Der Mann starb auf der Stelle.
So lieben die Batak die Kinder.  - Wie wir die Autos und Blumenbüsche in unseren Gärten vor den Neubauhäusern lieben.
Die SiDanau Kinder: sie lieben es in ihrer Rotte gemeinsam auf die Stufen zu steigen und ihre Köpfe durch die einzige Türöffnung des überdimensionalen Adat-Hauses zu strecken, in dem wir bei unseren Aufenthalten wohnen und das wir gemeinsam vor Ort erbaut haben.
An der Schwelle machen sie Halt. Da folgen sie der Anweisung ihrer Eltern: nicht hineingehen! Nicht stören! Jangan masuk. Jangan menganggu!
Also gucken sie stumm und stupsen sich und kickern verschämt, die vielen Kinderköpfe in der hellen Luke.
Was würde ich geben für eine Kindheit wie diese!

Die Kinder sind eigenständig und oft den halben Tag alleine unter sich. Nur wenn eines bei der Mutter Milch trinken möchte oder wirklich etwas eintritt, das nicht ohne die Hilfe von Erwachsenen zu lösen ist, läuft die kleine Kindermeute zu den Eltern in ein Haus oder auf das Feld. Ein Stand für sich!

Schläge? Habe ich nie gesehen. Nicht unter Kindern, nicht von Erwachsenen gegenüber Kindern. Es könnte ihr Tondi entweichen, vor allem bei Schlägen auf den Kopf. Nein, diese Seelenkraft, die Lebensseele der Batak soll sich doch im Leib wohl fühlen. Bei Schlägen würde sie durch die Fontanelle entweichen und vielleicht nicht mehr zurückkommen wollen. Zeremonien wären notwendig unter der Anleitung der Datus, der religiösen Spezialisten, um den Tondi wieder herbeizuholen. Mit Lieblingsessen und Geschenken müsste Tondi zurückgelockt werden ...

Ach Dora, Kindergärten sind im Dorf nicht nötig. Jedenfalls nicht in diesem Dorf mit seinen vier Häusern, wo ich lebte und geforscht habe, denke ich in mir. Und ebensowenig in den winzigen Nachbardörfern dieser Region. In Städten mag das ja anders sein …
Doch eines tut Not: wie oft sterben hier Menschen und Kinder an Durchfall ! Wie oft bläht der Kinderbauch dick und rund und werden Kinder apathisch schwach? Wasserleitungen wären wichtig. Noch immer werden die Teller nach dem Essen im Tümpel vor dem Haus gespült, haha, da grinste uns doch einmal direkt vom Tellerrand ein Blutegel an. Er stellte sich gerade auf und schimpfte … während wir alle gemeinsam auf dem Boden in einer Runde saßen und den roten Bergreis mit unseren Händen zu mundgerechten Klumpen formten. Die Kleinste der Familie hatte eben gerade den Eimer voll Geschirr vom Spülgang am Tümpel, aus dem die Büffel täglich trinken, geholt.
Hier tut es Not …

Unsere Tapete ist bekleistert von Lagen der Begeisterung über die Projekte, die Dora überall am Laufen hat und noch gründen möchte.
„Ich will helfen, nur helfen, Schwester Ris,“ sagt die agile stämmige kleine Power-Frau. „Und mit unserem gemeinsamen Projekt helfen wir allen. Die Leute in den Dörfern von SiDanau werden von uns gut bezahlt werden, ihr Lebensstandard wird steigen, wir bringen ein gutes Produkt auf den deutschen Markt, die Kunden werden die Qualität genießen, mit gutem Gewissen, und wir zwei haben davon ein gutes finanzielles Einkommen. Win Win für Alle!“

Ach, hoffentlich geht der Kindergarten unter, der Rest ist in Ordnung, denke ich. Ja, ein tolles Projekt. Ein Leben lang habe ich mir gewünscht, die Köstlichkeiten aus den Gärten meiner Leute, zu denen ich per traditioneller Adoption gehöre, hier in Deutschland zu vermarkten. Wie oft haben wir, Betina und ich, schon mitgeholfen, die reifen Früchte zu pflücken. Die Köstlichkeiten der Natur und der Bauern und Bäuerinnen und Kinder Hände Arbeit: Vanille, Kakao, Kaffee.

Ich gebe für dieses Projekt mein Label. Meine Ehre, meinen Ruf. Meine Internet-Kulturseite und mein Anthropologisches Buch zu den Toba-Batak sind in Europa und bis in Indonesien bekannt. Dora, die Managerin, gibt ihr Know How, ihr Importwissen, ihre Verkaufsräumlichkeiten. Gemeinsam sind wir stärker.
Der Entwurf des Aufklebers für den Kakao entzückt unsere Seelen: Dora`s SiDanau Kaffee; eine Kooperation von Doras Naturalienladen mit Ris` Ethnologischem Forschungslabel.

Meine Freundin Betina ist nur kurz an diesem Wochenende bei mir. Sonst würde sie mich vielleicht warnen oder ich täte ihr erzählen, dass mich etwas an der Sache stutzig macht.
Wieso erzählt Dora von „hundert“ Projekten, wenn es doch um die Gründung eines konkreten neuen geht? Leidet sie im Innern vielleicht doch unter einem Minderwertigkeitskomplex, wie so viele dunkelhäutige Eingewanderte und auch so manche IndonesierIn? Oder braucht sie so lange, um „warm“ zu werden. Asiaten brauchen das als Vorlauf, um dann den Schwenk zum knallharten Geschäft zu machen.
Naja, lass ich mich drauf ein, lass ich ihr ihren Rhythmus, denke ich. Als ich zu Bett gehe, telefoniert sie noch. Als ich aufwache, ebenso.
Ihre Stimme war schon rauh als sie ankam. Wie wenn der Farbeimer, mit dem die Tapete gestrichen werden soll, leer ist und der Metallbügel der Farbrolle an seinen Wänden kratzt.

„Ja, wir machen das wie besprochen. Du erhälst einen festen Teil der Marge, ich habe allein im April viele Tonnen Kaffee verkauft, überall entsteht neues Interesse an diesem Qualitätsprodukt, in der Schweiz, in Russland und nun habe ich Anfragen aus den USA.
Du kannst sofort einsteigen ins Geschäft, du kannst die erste Tonne schon vorfinanzieren. Im nächsten Monat bin ich in Sumatra und besorge die Bohnen vor Ort. Deine Leute sind gute Leute, sie sind fleißig und motiviert. Haha, das wird gut. Ja, gib mir dein Geld, gib mir dein Geld.“

Bataksches Temperament ist ungezügelt. Ist herzlich, deftig, Hochland-geprägt. Wie das Muhen der Büffel, wie die schmuddeligen Pausbacken der Kinder. Batak kneifen als Liebesbeweis in diese Pausbacken und klopfen den Rücken der Babys.
Bataksche Finger sind kräftig, und diese Liebesbeweise tun weh. Herz-Weh-Freude verbreiten die Batak! Dafür liebe ich sie.
Den einen, letzten Satz will ich überhören. Ich nehme ihn als Ausrutscher.

Zeit vergeht, jede arbeitet an der gemeinsamen Sache nach ihren Kräften und Vermögen.
Noch mehr Personen reihten sich ein in dieses Geschäft. Ungeplant, ungebeten …

Ich konzentriere mich auf meinen Part. Ich stelle die Kontakte und das Vertrauen zu meinen Leuten in SiDanau her, mache Promotion mittels meiner Kultur-Website, gebe mein Logo und meinen Leumund. Vor meinem inneren Auge entsteht die neue Websitenabteilung und freue ich mich über zahlreiche Bestellungen meiner Leser-Kundschaft, verfolge ich die Weiterleitung einer jeden einzelnen an die Joint Venture Partnerin,  und sehe ich wie in Hamburg die Tüten an die Endverbraucher mit unseren hübschen Aufklebern versehen und kiloweise mit der duftenden Ware befüllt werden. Abgewogen, zugeklebt, versandfertig. Siap! Fertig!
Jeder in dieser Kette hat seine Freude, seinen Verdienst und erbringt ordentlich seine Leistung. So ist mein Traum.

Ja, ihr Leser, ihr habt ja schon rausgehört, dass es irgendwo ein Problem gibt.
Klar, das sind meine tauben Ohren, mein Verstand, dem ich befahl zu gehorchen und nichts zu den Kindergärten zu sagen.
Ich hätte sagen sollen, jede Frau aus SiDanau, die ihren Kaffee an uns verkauft, bekommt ein neues Tragetuch, mit Mustern aus Europa, mit eingenähtem Label: Made in Germany.
Dann hätte das Projekt geklappt.

Oder aber, die große Schwester Dora hätte bei solchen Worten von mir gehustet. Sie hätte gehustet, bis ihr der Pupuk aus dem Hals gebröselt wäre und auf der weißen Tapete geklebt hätte.
Oder aber, sie wäre aus den Schlappen gestürzt.

Aber Indonesier sind zäh.

Da können Portugiesen kommen, Engländer und Niederländer. Sie haben sie kolonisiert, zu Dienern gemacht, zu Seitenwechslern und zu ebenso korrupten Menschen wie sie selbst: aber aus den Schlappen kippen IndonesierInnen NIE!

Was schon eher sein kann, ist, dass sie sich am Pupuk erbrechen. Ihrem ureigenen magischen Machtmittel. Und das auch nur bei den Toba-Batak.
Zubereitet wurde diese dunkelschwarze Paste aus dem Leib eines entführten Kindes, dessen Wille einem gefügig gemacht wurde. Es heißt in den Überlieferungen, heißes Blei wurde in den Schlund des in die Erde eingegrabenen Kindes gegossen, das zuvor noch sagen musste: „Ja, ich bin euch willig.“ *

Danach wurde das tote Kind zu einer magischen Paste verarbeitet. Kleinste Mengen davon füllten die Zauberpriester, die Datu, in winzige Öffnungen an hölzernen Ahnenfiguren oder in lange aus Holz geschnitzte Lanzen. Pupuk belebte den Bauchnabel dieser Figuren, ihr Schutz und ihre Zerstörungskraft ward übermenschlich. Eine Zauberpaste, sozusagen.

Ja, ich habe mal solch eine Paste in der Hand gehalten. Verschämt, jedoch mit untergründigem Stolz gab sie mir ein Bauer an seiner Feuerstelle im dunklen Holzhaus in die Hand. Es war der klügste Bauer von allen in SiDanau, und es war der Bauer, der scheiterte. Er scheiterte mit seiner Idee, eine Kooperative zu gründen bzw. sich unter drei bis vier Dörfern gemeinsam einen Traktor zuzulegen, um die mühsame Arbeit des Hackens von Hand zu umgehen.
Denn was nützt es den vielen Kindern der Batak, wenn sich ihre Mütter durch diese harte Arbeit so schinden, dass sie sterben und oftmals 7-10 ihrer Nachkömmlinge als Waisen hinterlassen?

Mein Lieblingsbauer zog fort. Er rodete in Aceh Land, baute erfolgreich für seine Frau und 9 Kinder alle Arten von Nahrungsmittel und Medizin an und bekam eines Tages Tuberkulose. Wie so viele. Die Medikamente mochte er gar nicht, er kehrte zurück nach Hause in sein großes Adat-Haus in SiDanau, wo ich ihn noch umarmen konnte, das war wenige Monate bevor er starb. Er hatte auf Gondang gesetzt, auf den Schlag der traditionellen Trommeln, das Spiel des Gong- und Trommelorchesters, das vermittelt zwischen den Ahnen, den Göttern und uns Menschen. Mit Hilfe des Gondangs wollte er wieder gesund werden. Er glaubte an die Wirkung der damit verbundenen Zeremonie.
Er hat das Orchesterspiel bekommen, er hat es vernommen, er starb. „Dumm war er“, sagte meine bataksche Lieblingsschwester, die inzwischen im modernen Jakarta wohnt. „Er hätte die Medikamente nehmen sollen.“

Pupuk. Die kleine agile Dame hat es in sich. Verschluckt. Von innen angeklebt am Bauchnabel. Macht. Sie will und wollte Macht. Helfen ist die andere Art, sich Bedeutung zu geben. Das wollen so viele auf dieser Welt.

Ich hätte sehen sollen, wie die Pupuk-Brösel bereits an meiner Tapete hingen, so wie wenn der Datu, der traditionelle Heiler, die zerkaute, blutrote  Pampe von Sirihblättern und Betelmüssen aus seinem Mund auf eine Wunde spuckt. Ich glaube an diese Heilweise. Wie mein Lieblingsbauer.

Aber ich war blind und taub.

Ein anderer wurde ins Projekt genommen. Ich stimmte nicht zu, ich sagte, „Lass das sein, Dora, andere haben andere Ziele, lass uns das Projekt zu zweit machen wie besprochen. Du wurdest empfangen von meinen Leuten in SiDanau, mein Empfehlungsschreiben in Deiner Hand. So ist es richtig.“
Andere haben andere Zungen. Deutsche haben keinen Belag von Pupuk darauf. Deutsche sind noch radikaler. Deutsche lassen andere für sich arbeiten. Lassen die gesamte Drecksarbeit von anderen machen. Auch wenn es darum geht, jemanden zu erpressen oder sich des Leibes von jemandem zur Lust zu bedienen.

Die Pupuk Dame tat sich mit solch einem zusammen. Einem Leib-Benutzer. Leib-Benutzer brauchen nur viel Geld, verführerische Worte und ein Netz von Menschen, die ihnen behilflich sind, die Benutzten dauerhalft still zu stellen.
Da taten sich die zwei richtigen zusammen.

Pupuk-Esserin und Leib-Benutzer. Heißes Metall im Schlund der jungen Burschen. Menschen-Magie Paste einverleibt, gefressen.

SiDanau starb. Alle starben an den Folgen der Amöben im Gebrauchswasser und am Denque-Fieber, deren Übertragungsmücken im stehenden Tümpel brüten.

Mein Geld habe ich nie wieder gesehen. Kaffee auch nicht. SiAnjur hat sich selbst vergiftet.
Ein junger Mann macht sich auf den Weg nach Deutschland, aus SiDanau.
Er wird hier in Deutschland seinen Hals recken und Blei hineinbekommen.

Surreal findet ihr meine Geschichte? Nein, ich habe gelernt, liebe Batak, aus Eurer Historie und von jenen im Rantau, in der Migration, hier bei uns. Und eine Lektion habe ich direkt kapiert: Pupuk ist Leib-Benutzen. Ist LeibEigenMachen. Die Formen ändern sich mit den Jahrhunderten, aber Pupuk ist existent. Guckt nur genau hin! Hier wie dort.

Wenn es um Recht geht, um Fairness und gemeinsames Teilen, Kooperieren kann mensch auf die Nase fallen. Es bleibt zu gehen und den Dschungel allein zu roden, nicht wahr, mein Lieblingsbauer …?
Es bleibt zu warnen vor jenen, die mit unaufhaltsamen Stimmen sprechen und dabei die Tapete mit Lagen ihrer Wichtigkeit bekleistern. Hört darauf, wenn ein Hals von zuviel Pulpuk drin kratzig wird. Wenn die Wände scheppern wie ein leerer Eimer. Seid nicht so dumm wie ich …

„Kindergärten? Ja Dora, SiDanau soll einen bekommen. Dort soll über Pupuk gelehrt werden. Ich gebe dir das Geld für den Bau gleich mit. Ach ja, und die Kinder sollen mit Birkenstockschlappen dorthin kommen.“

 


Reiter Pukpuk2* Das ist jetzt keine Polemik. Ich verweise vorab auf die Master Arbeit von Annerose Kalb an der Fernuni Hagen zu den „Zauberstäben“ der Toba-Batak. Diese Arbeit erscheint demnächst auf dieser Webste. - Ansonsten ist gerade die Beschreibung des batakschen Kinder-Mordes ein beliebter grausamer Ausführungsteil bei so vielen, vielen Arbeiten meiner männlichen Wissenschafts-Kollegen. Zig-fach aus zeifelhaften Quellen nachgebetet, drin gesuhlt und niemals selbst dabei gewesen …

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Foto links: Gefäß für magische Ingredienzen der Batak

Höhe: 15 cm